Mein Leben als Stomaträger

Wenn mich einer fragt, ob ich mein Leben mit Stoma akzeptiere, dem sage ich, ich habe mich damit arrangiert, denn akzeptieren so wie es ist, kann ich es nicht. Es gehört da nun mal nicht hin, das Stoma auf den Bauch. Aber es ist jedoch auch eine Tatsache, dass ich ohne diesen nicht mehr unter den Lebenden weilen würde. Das, und nur das allein ist der Grund, warum ich mich jeden Tag aufs Neue damit arrangieren muss. Wer mir diese Frage 14 Tage nach meiner OP gestellt hätte, der hätte von mir etwas vollkommen anderes zu hören bekommen, nämlich das hier „Fenster auf und springen“ und das ist kein Spaß, sondern den Umständen geschuldete, dass ich damit erst mal klarkommen musste, mich neu zu orientieren. Denn zu dem Zeitpunkt, wo ich das Stoma bekam, hatte sich mein Leben gerade wieder geändert. Wir sind im Mai 2010 in unseren ersten gemeinsamen Urlaub geflogen, wir hatten bis dahin nie das Geld gehabt, und dann sind wir gleich auch das erste Mal geflogen für 10 Tage nach Tunesien.

Ich hatte, im Juni meinen Job verloren und am 01. Oktober wieder eine neue Anstellung gefunden. Ihr könnt euch vorstellen, dass ich dann nicht gerade erfreut war, als man mir einen Stoma verpassen musste. Meinen neuen Job war ich somit auch gleich mal wieder los. Ich sollte es ja nur vorübergehend haben, es sollte nach 6 Monaten ja wieder zurückverlegt werden, tja, das war der Plan gewesen, aber es kam anders. Zugegeben, ich freute mich riesig, konnte es nicht erwarten, bis zum Termin der Rückverlegung. Ich steckte damit alle an, in meiner Familie. Weil ich dachte, Wow, endlich wieder normal auf den Pott gehen und das ohne Tüte auf dem Bauch. Es sollte anders kommen. Die OP verlief gut, aber es gab Komplikationen, die sich in Bauchkrämpfen und zweimaligen Erbrechen äußerten. Ich erbrach also meinen Darminhalt über den Mund. In der folgenden Not-OP fand man den Grund, ein Ileus (Darmverschluss), sowie einen sogenannten Hungerdarm, eine verklebte und verwachsene Dünndarmschlinge. Seit April habe ich ihn nun wieder, meinen  "Spucki" (Stoma) und denke jeden Tag an die Zeit, als es mir vermeintlich gut ging.

Was hat sich verändert, ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es ist alles so wie vorher, denn das ist nicht so. Freunde, wo ich noch Wochen vor der OP Kontakt hatte, wendeten sich ab, Arbeitsplatz verloren, das ganze gepaart mit Erklärungen, bei Behörden, wenn ich etwas will, macht es nicht gerade einfacher. Aber ich musste schnell lernen, dieses neue Leben zu nehmen wie es ist, denn ein Zurück gab es ja nicht mehr.

Mittlerweile ist mir ehrlich Scheißegal, was andere denken, wenn sie meinen, mich Tadeln zu wollen, wenn sie mitbekommen, dass ich jeder Flasche einzeln trage und meine Frau die Kiste Wasser in den Einkaufswagen stellt, noch Monate vorher hätte ich diese Leute rund gemacht, sollen sie denken von mir was sie wollen. Denn nur ich und meine Frau weiß, warum es nicht so geht, wie früher. Der Prozess dauert noch an und ich lerne jeden Tag aufs Neue damit umzugehen, und leicht war es bis hierhin, nicht eher steinig. Aber, je weiter ich gehe, umso glatter und Stein freier wird der Weg. Verändert habe ich mich dahin gehend, dass ich weiß, was es heißt, noch leben zu dürfen, hier zu sitzen, die Zeilen zu schreiben, ohne groß darüber nachdenken zu müssen, was wäre, wenn, hätte, aber. Ich genieße jeden Tag, den ich mit meiner Frau verbringen darf, oder ich aufwache, wenn mich die ersten Sonnenstrahlen wecken. Meine Frau packt mich nicht mehr in Watte, wie es noch 1½ Jahren nach der OP der Fall war. Ich will kein Mitleid, keine Bewunderung für mein Leben, ich möchte nur, dass man es akzeptiert, dass ich bin, was ich bin, nämlich ein Mensch, der immer noch laufen, sprechen kann, Gefühle hat, die man verletzen kann.

Viele meinen, ein Stomaträger zu sein heißt „ein Leben im Verborgenen zuführen“ der sich irrt. Denn ich verstecke mich nicht, warum auch, gibt ja kein Grund, dass ich mich verstecken muss. Ich gehe genauso gern ins Schwimmbad, fahre Fahrrad oder gehe z. B. in die Sauna, gut, dass ich solche Aktivitäten etwas planen muss, das weiß ja nur ich und meine Frau. Sonst geht das ja keinen etwas an, was ich wann, wie und weshalb machen kann und was nicht. Wer aber meint, mir dann „dumm“ zu kommen müssen, der erlebt das erste Mal in seinem Leben sein „Blaues Wunder“, denn dann zeige ich ihm, wo der Bauchbeutelträger seine Locken hat. Kleines Beispiel dazu ist: Ich war mit meiner Frau einkaufen, bei Real, und wir hatten uns vorher abgesprochen, dass bei schweren Sachen, wie z.B. eine Kiste Wasser, ich die Flaschen herausnehme oder meine Frau die Kiste in Einkaufswagen stellt. Als wir gerade dabei sind, diese in den Einkaufswagen zu stellen, kommt eine junge Frau und meinte nur" Das sind die richtigen, dumm herumstehen und zugucken wie die Frau alles einräumt, und betitelte mich mit dem Wörtchen "Macho"! Ich sagte zu der guten Damen nur "es geht Sie zwar nichts an, aber ich werde ihnen mal zeigen, warum ich das nicht mehr tragen kann!" Ich muss dazu sagen, die OP war gerade mal 14 Tage her und die Bauchnarbe noch relativ frisch. Hob ich also mein T-Shirt und meinte nur, noch fragen oder soll ich ihnen das noch erklären. Tja, nun ratet mal, wer sich da blamiert hat, bis auf die Knochen, ich jedenfalls nicht! Das sind Ausnahmen, aber es zeigt mir immer wieder, dass manche Menschen ohne dabei zu überlegen über andere urteilen, nur weil man evtl. nicht mehr so kann, wie man gern möchte.

Eins kann man mir glauben, wenn ich wollte, wie ich könnte, dann wäre es für mich kein Problem, auch zwei Kisten zu tragen, nur leider geht das nicht mehr. Da ich nicht mit einem Prolaps auf dem Bauch herumlaufen möchte. Denn das wäre mit einer der Konsequenzen, bei zu schweren tragen, Heben etc. Aber so ist es bei allen anderen Sachen auch, alle, die über einen Urteilen, also z.B. das Jobcenter, die Ärzte und viele Andere, haben eigentlich leicht reden, denn sie müssen ja nicht 24 Std. an 365 Tage im Jahr damit leben. Ich stelle mir dann immer vor, wie hilflos, überfordert solche Menschen wären, wenn sie so was hätten, dann würde viele Entscheidungen mit Sicherheit anders ausfallen.

Hier und heute geht es mir den Umständen entsprechend gut, muss alle 3 Monate zu Tumornachsorge, das eigentlich nur noch bis 2015 andauert, aber dadurch, dass es sich bei mir die Familiäre Adenomatöse Polyposis (FAP, familiären Darmkrebs) handelt, werde ich die bis zu meinem natürlichen Ableben über mich ergehen lassen müssen. Denn, wie sagten die Ärzte nach Tagen, nach der OP zu mir, "Eigentlich geheilt, weil die Karzinome raus sind, ohne dass etwas zurückgeblieben ist, es keine Metastasen gab, aber eben auch nicht geheilt, wegen der FAP". Daher muss ich auch noch zusätzlich eigentlich alle 6 Monate zu einem Internisten, der mich dann spiegelt (Magenspiegelung), sollte was gefunden werden, also Polypen, Adenome, dann geht es sofort wider ins Krankenhaus, dass diese dort dann entfernt werden können. Dann wird auch diese Spieglung von 6 Monate auf alle 3 Monate angesetzt. Wird nichts Verdächtiges gefunden, dann bleibt alles beim alten, also alle 6 Monate. Bisher wurden immer wieder "leider" welche gefunden. Somit bin ich über jede freie Zeit dankbar, die ich mit meiner Frau verbringen kann.

Auch die Angelausflüge, die ich immer noch mache, sind immer was besonders, weil das ist Ablenkung, Entspannung und ich kann für ein paar Stunden mein Stoma vergessen lassen und nur Ich sein und mehr möchte ich auch eigentlich nicht. Nur andere sehen das wieder anders als ich, eben weil sie es nicht verstehen, was heißt als Stomaträger (Beuteltier) zu leben.

 

Überarbeitet am 27.01.24